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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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9. Heft
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Hintze, Erwin: Eine schlesische Zinnkanne vom Jahre 1506 in der Sammlung Oppler in Hannover
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0350

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EINE SCHLESISCHE ZINNKANNE VOM JAHRE 1506

Stadtwappen übrig, den die Zinngießer von Hirfchberg als Stadtmarke führten. Die Zu-
weifung der Kanne an Hirfchberg findet nun eine weitere nicht unwefentliche Stütze an
dem rechts und links neben dem Stadtftempel in Wiederholung eingefchlagenen Meifter-
zeichen mit einem gotifchen I). Die Initiale paßt nämlich wunderfchön auf den Namen
des Kannengießers Mathias Halbritter, der, wie noch weiter unten zu erwähnende Glocken-
infchriften beweifen, zwifchen 1499 (? 1500) und 1507 in Hirfchberg tätig gewefen ift.
Die Kanne trägt außerdem auf dem Deckel die eingravierte Jahreszahl 1506. Ihre Ent-
ftehung fällt alfo in die durch andere Quellen feftgelegte Arbeitszeit Mathias Halbritters.
Vielleicht bezieht [ich auch das auf der Rückfeite der oberen Deckeldrückervolute ein-
gravierte, aus den Initialen MH ligierte Monogramm mit darüberftehender Sonne auf die
Anfangsbuchstaben des Meifternamens.

In feiner Gefamthöhe mißt der Opplerfche Humpen mit Deckelbekrönung 61 cm. Im
Aufbau und in der gravierten Dekoration entfpricht er vollftändig dem Typus der bereits
aus Breslau, Löwenberg und Sagan' bekannten fpätgotifchen Fazettenkannen. In feinen
künftlerifchen Qualitäten fteht er hinter den Breslauer Exemplaren zurück und ift etwa
mit der in Sagan entftandenen Laubaner Huffchmiedekanne des Leipziger Kunftgewerbe-
mufeums auf eine Stufe zu feijen.1 *

Der zylindrifche, in fchwerem, dickwandigem Guß hergeftellte Korpus wird durch 27
in drei Reihen geordnete Flächen gegliedert. Die neun fechseckigen Mittelfelder find lang-
geftreckt, in fie fügen fich oben und unten je neun gegen die Hauptfazetten übereck ge-
teilte fünffeitige Zwickelfelder ein. An allen Teilen ift die Kannenleibung und der Deckel
mit reicher Gravierung verziert, die technifch die traditionelle Manier gotifcher Gravuren
zeigt, bei der fich die Darftellungen flächenhaft von dem fchraffierten Grunde abheben.
Der Inhalt der Darftellungen trägt größtenteils religiöfen Charakter, wobei die Heiligen-
figuren, wie bei allen fchlefifchen Kannen diefer Art, dem Kreife der in Schlefien be-
fonders verehrten Heiligen entnommen find. Die Figuren der Mittelfazetten ftehen in der
üblichen Weife unter fpätgotifchen Architekturen mit Kielbogenbaldachinen. Die drei
Hauptfelder der Stirnfeite enthalten eine zufammenhängende Gruppe: Chriftus am Kreuze
mit den Heiligen Maria und Johannes Evangelifta. Zu beiden Seiten fchließen fich je zwei
Heilige an: rechts Jacobus Minor mit dem Fachbogen und der Apoftel Paulus mit Schwert,
links Bifchof Erasmus mit Winde (Hauptpatron der kath. Pfarrkirche von Flirfchberg3)
und der Apoftel Petrus mit Schlüffel, Beutelbuch und Initiale P. Die zwei Flächen am Henkel
find mit gotifchen Laubranken graviert. Auf den unteren Zwickelfeldern folgen einander
fechs Dreiviertelfiguren von Heiligen: eine Heilige mit Gefichtsfcheibe und zwei Buchftaben,
der erfte davon ein g (vielleicht die hl. Genoveva, deren Verehrung durch wallonifche
Tuchmacher nach Schlefien gebracht wurde, oder die hl. Gertrud; bei beiden Zuweifungen
würde die Gefichtsfcheibe als Verfinnbildlichung von Vifionen aufgefaßt fein), Agnes mit
Lamm, das die Kreuzesfahne trägt, nebft Initiale a, Apollonia mit Zange, Magdalena mit
Salbgefäß, Urfula mit Pfeil nebft Initiale 10 und Martha mit Weihwafferbehälter und

1 Früher in den Sammlungen Zfchille in Großenhain bezw. Zöllner in Leipzig. Äbgebildet bei
Jacob v. Falke, Gefchichte des Deutfchen Kunftgewerbes, Berlin 1888, S. 95 und bei Otto v. Falke
in Lehnerts Illuftr. Gefchichte des Kunftgewerbes, Bd. I S. 413 Äbb. 328, wo die zugehörige Unter-
fchrift irrtümlich zu Äbb. 329 gefeßt ift.

- Nach Hermann Neuling, Schießens ältere Kirchen (Breslau 1884) S. 150, hat unter den älteren

fchlefifchen Kirchen nur die Pfarrkirche von Hirfchberg den hl. Erasmus als Patron gehabt. Somit
kann hier die Darftellung diefes Heiligen ebenfalls als eine wichtige Stüße für die Hirfchberger
Herkunft der Kanne gelten.

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